Bericht von Prague Offspring 2023

Die Komposition „In vain“ des österreichischen Autors Georg Friedrich Haas klang eher nach einer physischen Welle als nach etwas, das nur mit den Ohren zu hören ist, als sie an diesem Samstag im Dox Contemporary Art Center in Prag gespielt wurde. Die Beleuchtung war der Schlüssel zu seiner Ausführung. In zwei Teilen wurde der Saal völlig dunkel und die Spieler und Zuhörer befanden sich für einige Minuten im Dunkeln. Vor dem Ende gesellte sich der Rhythmus der blinkenden Lichter zum Rhythmus der Musik.

Der einstündige Stream zog das Publikum durch sanfte Übergänge von ruhigen Läufen zu ohrenbetäubenden Höhepunkten. Die Präsentation der Komposition aus dem Jahr 2000 war einer der Höhepunkte des „Festivals im Festival“ Prague Offspring, das der Prager Frühling zum zweiten Mal im Zentrum von Holešovice organisierte. Haas, der das Konzert persönlich besuchte, war dessen Artist-in-Residence.

Obwohl zeitgenössische Musik manchmal wie eine unpolitische Welt reiner Kunst erscheinen kann, verbirgt sich hinter ihr eine konkrete politische Inspiration. Der heute 69-jährige Schöpfer schrieb es unter dem Einfluss der „Blamage über die schwarz-blaue Regierungskoalition im Jahr 2000“. Damals kam die Partei der Freien unter Führung des inzwischen verstorbenen Jörg Haider erstmals in Österreich an die Macht. Seine Sympathien für die extreme Rechte lösten Proteste aus. Der umstrittene Politiker wurde schließlich von Wolfgang Schüssel im Amt des Kanzlers abgelöst.

„Formal habe ich die Musik so konstruiert, dass am Ende das scheinbar Überwundene wiederkehrt. Als ich es überwunden habe, habe ich dank Herrn Schüssel den Zauber der Wiederholung wiederentdeckt“, sagte der Komponist, für den die extreme Rechte im Amt ist Österreich ist ein persönliches Thema. Für die Wochenzeitung „Die Zeit“ beschrieb er vor sieben Jahren, wie sein Großvater jüdische Familien, die zum Betteln um Essen kamen, bei der Gestapo meldete.

Dies ist jedoch ein zusätzlicher Kontext, der die Rezeption von In vain, so der Dirigent Sir Simon Rattle, „einem der wenigen bereits anerkannten Meisterwerke des 21. Jahrhunderts“ nicht beeinträchtigte. Die Prager Aufführung dieses Klangdenkmals gelang vor allem dank der perfekten Leistung des österreichischen Ensembles Klangforum Wien. Er gab allen subtilen Nuancen und dynamischen Veränderungen eine Stimme.

Wie aus einer anderen Welt

Der Prager Frühling hatte jahrelang den Ruf eines Festivals, bei dem man erstklassige Interpretationen von Werken aus der Vergangenheit der westlichen klassischen Musik hören kann, während aktuellere Werke spezialisierten Veranstaltungen überlassen werden. In den letzten Jahren hat sich das zumindest teilweise geändert, dieses Jahr dank Prague Offspring zum zweiten Mal.

Am Freitag und Samstag wurde der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie völligen Innovationen jüngerer tschechischer Komponistinnen und Komponisten Raum gegeben. Zum zweiten Mal brachte das Festival das Klangforum Wien mit, das die absolute Spitze im Bereich der Interpretation zeitgenössischer Musik darstellt. Das Orchester spielte an beiden Tagen alle Stücke.

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Im Mittelpunkt des Programms, zu dem auch Diskussionen, eine Filmvorführung und eine Meisterklasse gehörten, standen zwei Abendkonzerte im Dox. Einerseits erklangen Uraufführungen des Festivals, andererseits Werke zweier prominenter Persönlichkeiten der modernen Musik: Georg Friedrich Haas und des ungarischen Komponisten György Ligeti, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Seine Musik dominierte den ersten Abend. Ligeti unterschied sich von der Strömung der Avantgarde-Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch seinen originellen Umgang mit Klangfarben. Aus den Instrumenten des Sinfonieorchesters gelang es ihm, melodische Strömungen zu weben, die wie aus einer anderen Welt klangen. Seine Werke aus den 1960er Jahren beeindruckten den Regisseur Stanley Kubrick so sehr, dass er sie im Film „2001: Odyssee im Weltraum“ ausgiebig verwendete.

In Dox wurden zwei Werke eines relativ kleinen Ensembles aufgeführt, aber auch in ihnen konnte man hören, warum Ligeti ein unnachahmliches Original ist. Obwohl er die Kammerkonzerte von 1969 und 1970 nur für 13 Instrumente schrieb, wirkt die Musik dennoch dicht und ständig wechselnd. In den vier Sätzen wechseln sich kontrastierende Positionen ab. Mal verschmelzen die Instrumente zu einem dichten Strom anhaltend überfließender Konsonanzen, mal ähneln sie dem Inneren eines kompliziert tickenden Uhrwerks.

Ligetis zweites Werk war das Klavierkonzert von 1985 bis 1988, in dem sich der 39-jährige Joonas Ahonen aus Finnland als Solist präsentierte. Es besteht aus fünf Sätzen und beginnt mit einem scharfen, wilden Ritt, bei dem Klavier, Orchester und Schlaginstrumente komplexe Rhythmen spielen und eine unregelmäßige, aber fesselnde Struktur bilden.

Zum Zeitpunkt des Komponierens interessierte sich Ligeti für die Prinzipien afrikanischer Musik, bei der die Kombination verschiedener rhythmischer Ebenen eine wichtige Rolle spielt. Aber sein Ziel war es nicht, etwas Afrikanisch klingendes zu schaffen. Vielmehr ließ er sich für seine eigene Musiksprache von Prinzipien einer fremden Kultur inspirieren. Ahonens Auftritt war tadellos, in manchen Passagen wirkte er aufgrund der hektischen Tempi und Rhythmen fast schon sportlich.

Der Solist des Klavierkonzerts von György Ligeti war Joonas Ahonen, der es zuvor für die Firma Naxos gedreht hatte. Foto: Ivan Malý | Video: Naxos

Wie auf einer Achterbahn

Georg Friedrich Haas folgt in gewisser Hinsicht einigen Ideen Ligetis. Seine Musik erwächst nicht aus Kombinationen von Melodien und Harmonien, sondern aus Klangfarben, deren Verschmelzung und allmählichen Veränderungen. Für eine 1999 in Übersetzung erschienene Komposition mit dem Titel Who, If I Screamed, would Hear Me entlehnte er den Titel einem Gedicht von Rainer Maria Rilke.

Er schrieb das Stück für Ensemble und Solist am Schlagzeug. In Dox war er von konventionellen und ungewöhnlichen Instrumenten umgeben, darunter einer Stahlfeder, Bremsscheiben und einer Metalltrommel aus einer Waschmaschine. Das vielfarbige Klirren, die sanften und kraftvollen Schläge des Solisten verwoben sich mit den Konsonanzen der anderen Instrumente und erzeugten farbenfrohe Flächen.

Prague Offspring dauerte zwei Tage bei Dox.  In einer Komposition von Georg Friedrich Haas, benannt nach einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, spielte der Schlagzeuger am ersten Abend eine Stahlfeder.

Prague Offspring dauerte zwei Tage bei Dox. In einer Komposition von Georg Friedrich Haas, benannt nach einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, spielte der Schlagzeuger am ersten Abend eine Stahlfeder. | Foto: Ivan Malý

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Die von Jana Vöröšová im Auftrag des Prager Frühlings für das Klangforum Wien komponierte Komposition Lunapark wurde am Freitag dann in der Uraufführung aufgeführt. Die 43-jährige Autorin machte 2018 auf sich aufmerksam, als sie den Kompositionswettbewerb der Tschechischen Philharmonie gewann.

Der Titel und die einzelnen Teile ihres Romans wecken außermusikalische Assoziationen, die Musik scheint den Zuhörer in fünf kontrastierenden Sätzen tatsächlich durch einen fantastischen Vergnügungspark zu begleiten.

Das Autodrom ist rhythmisch chaotisch und hektisch, die Swans erklingen mit verträumten, verschwommenen Harmonien, die Shooting Ranges bringen wieder dynamische Energie mit, ergänzt durch das Platzen von Kirmesballons, die bis dahin zwischen den Musikern platziert waren. Dank der ansteigenden Skalen erzeugt das Riesenrad die Illusion, dass wir irgendwo über den Wolken klettern, und die abschließende Achterbahn bringt uns mit schnellem Tempo und virtuosen Läufen im Wechsel zwischen den Instrumenten ins Ziel. Anklänge an die Musik der Zirkuskapelle vermischen sich mit allem.

Die Komposition von Vöröšs Geradlinigkeit wirkte klangvoll, malerisch und beschreibend. Gleichzeitig ist es so gekonnt und mit einem solchen Gespür für interessante Klangschattierungen oder Stimmungswechsel geschrieben, dass es den Zuhörer mitnimmt wie in eine Achterbahnfahrt, in der es keine Zeit für Zweifel gibt, wenn es so schön läuft.

Das vor dem Konzert aufgenommene Bild zeigt die Komponistin Jana Vöröšová.

Das vor dem Konzert aufgenommene Bild zeigt die Komponistin Jana Vöröšová. | Foto: Ivan Malý

Intensives Kreischen

Beim Samstagskonzert vor Haas‘ „In vain“ bekamen fünf neue tschechische Acts Platz. Alle wurden zu einer Band zusammengefasst, die jeweils relativ kurz dauerte, etwa sieben Minuten. Dadurch klang der Block ein wenig wie eine kollektive Symphonie mit fünf Sätzen. Die Suche nach Gemeinsamkeiten und Gemeinsamkeiten wurde somit stärker angeboten, auch wenn die Autoren keine künstlerische Gruppe bilden. Selbst das Generationenverhältnis ist eher locker und reicht von 1978 bis 1995.

Die Einleitung fiel auf die Komposition „Fünf Farben des Alpennebels“ von Michaela Pálek Plachká, die von den Musikern ohne Ton auf ihren Instrumenten erklingen ließ. Daraus entstand nach und nach „echte Musik“, so wie der Autor im Kommentar die ersten Sonnenstrahlen beschreibt, die in einem Gebirgstal durch den Nebel brechen. Die Musik ist angenehm, mit einer leicht märchenhaften Atmosphäre.

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Auch das folgende Kývání von Matouš Hejlo arbeitete mit Klängen am Rande der Töne und außermusikalischen Geräuschen, da die Bögen intensiv auf den Saiten kreischten. Sobald Hejl sowohl mechanische als auch chaotische Rhythmen spielte, wurde eine Ähnlichkeit mit einigen Stellen in György Ligetis Musik vermutet.

Eine weitere Komposition namens Spectral Walzer wurde von František Chaloupka geschaffen. In seinem Kommentar schreibt er, er suche nach einer „zeitgenössischen Sprache, die nicht eine einfache Negation der Vergangenheit wäre“. Die Vergangenheit scheint durch Andeutungen von Walzerrhythmen und sentimentalen Melodien in sein Werk einzudringen. Aber er verwischte diese Bezüge, als würden wir den Tanz durch ein schmutziges und nebliges Fenster beobachten.

Auch der vierte Autor, Pavel Šabacký, bezog die musikalische Vergangenheit in seine Komposition Ishan’t ein, und zwar anhand von Fragmenten biblischer Lieder von Antonín Dvořák. Die meisten Zuhörer haben sie wahrscheinlich nicht bei Dox entdeckt: Sie verbergen sich in energiegeladener, schneller und wilder Musik, in der wir manchmal Anklänge an Jazz-Rhythmen hören. In der Mitte ergreift der Klarinettist das Wort mit einem wilden, vielleicht improvisierten Solo, in dem er die extremen Lagen des Instruments erkundet.

Das letzte Flies mit dem Untertitel Diptera wurde für das Ensemble von dem in Wien lebenden Šimon Voseček geschrieben. Obwohl wir ein sanftes Summen hätten erwarten können, war es wieder eine kraftvolle, meist laute Musik, die wiederum zwischen den reinen Tönen der Instrumente und der Erkundung ihrer Geräuschmöglichkeiten balancierte.

Komponisten Šimon Voseček, Matouš Hejl, Pavel Šabacký, František Chaloupka und Michaela Pálka Plachká.

Komponisten Šimon Voseček, Matouš Hejl, Pavel Šabacký, František Chaloupka und Michaela Pálka Plachká. | Foto: Petra Hajská

Die tschechischen Komponistinnen und Komponisten, die dieses Jahr von Prague Offspring vorgestellt werden, haben möglicherweise eines gemeinsam: Sie verstehen Musik nicht als Kombination von Melodien und Harmonien oder als Aufbau regelmäßiger Formen. Es dient ihnen vor allem zur Untersuchung von Klängen, zu deren Beschreibung werden aber auch Parallelen zur Malerei oder Skulptur angeboten. Kurz gesagt, die Autoren mischen ihre Materie wie auf einer Palette oder kneten sie wie Ton.

Unter der Leitung des hervorragenden Klangfora Wien unter der Leitung von Peter Rundel bewiesen sie, dass sie es richtig gut können. Besonders erfolgreich waren die Kompositionen von Jana Vöröšová und František Chaloupka, vielleicht dank des interessanten Spagats zwischen der Suche nach neuen Klangwelten und dem Durchsickern von etwas aus der Vergangenheit.

Auch nächstes Jahr wird das Klangforum Wien bei Prague Offspring zu Gast sein, wo unter anderem der 35-jährige Matej Sloboda eine neue Komposition dafür komponieren wird. Durch das bedeutendste tschechische Festival wird zeitgenössische Musik etwas besser gehört.

Der Autor ist Musikwissenschaftler.

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