Die Schwarz-Weiß-Ära liegt hinter uns. Die neue Ausstellung der Nationalgalerie wird sich im europäischen Maßstab behaupten

Die Ära der einfachen Gegensätze gehe zu Ende, behauptet die Prager Nationalgalerie. Ihre neue Dauerausstellung im Messepalast konzentriert sich auf tschechische Kunst von 1939 bis 2021 und präsentiert neben Spitzenwerken auch solche aus den verborgenen Ecken des Depots. Solche, die die Institution einst eher aus ideologischen als aus künstlerischen Gründen kaufte und kaum noch ausstellte.

Die Ausstellung mit dem Titel „Das Ende der Schwarz-Weiß-Ära“, die seit letzter Woche zu sehen ist, versucht, unkonventionell zu sein. Es hat mehr als das bewirkt.

Das Quartett der Kuratoren Michal Novotný, Eva Skopalová, Adéla Janíčková und Adriana Šmejkalová baute eine frische, kommunikative und emotionale Ausstellung auf, vor allem durch ein gut durchdachtes Konzept, das in viele Gedankenschichten gehüllt war. Die chronologische Ordnung dient als Lebensader im rasenden Strom unterschiedlicher Werke aus weniger als einem Jahrhundert. Der Lauf der Zeit wird durch bekannte Werke unterbrochen.

Die maßgeschneiderte Architektur der Ausstellung bietet viele Ausblicke. Die Autoren Dominik Lang und Jan Brož verwendeten größtenteils alte Tafeln, die sie an vielen Stellen durchschnitten. Es gab nicht nur Bullaugen, sondern auch Öffnungen zur Bepflanzung von Skulpturen. An anderer Stelle warfen sie die Platte zu Boden und verwandelten ihre glatte, flache Seite in eine wellige Oberfläche. Mit Statuen bepflanzt, ähnelt es einer Landschaft mit Bäumen.

Schilder mit Texten sind angenehm unauffällig, werden von Informationssuchenden gefunden und stören diejenigen, die wegen Emotionen kommen, nicht. Diese erinnern an besonders beliebte Werke: das scharfe rote Gemälde der Kleopatra von Jan Zrzavý, die perfekt runden, aufkeimenden Knospen der Bildhauerin Hana Wichterlová, den großen Astronauten Pavel Brázda, das Drahtobjekt von Karel Malich oder weniger opulente, aber dennoch eindringliche Werke. Zum Beispiel Schwarz-Weiß-Fotografien von spielerischen und lebensbedrohlichen Ereignissen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren von Petr Štembera, Jiří Kovanda, Karel Miler oder Zorka Ságlová.

Die 1980er Jahre sind durch die Werke von František Skály vertreten, außerdem durch eine drei Meter lange, äußerst aufwändige Zeichnung mit der Aufschrift „Stigma“, die Václav Stratil als Nachtwächter in der Nationalgalerie schuf, und vor allem durch Gemälde, die die Kuratoren gemeinsam erstellten als fantastischen Realismus beschreiben. Es gibt Gemälde von Theodor Pištěk und zum Beispiel von Petra Oriešková.

Auf dem Foto aus der Ausstellung stehen die Skulpturen von Hana Wichterlová im Vordergrund. | Foto: Jakub Přecechtěl

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Hinter der letzten Trennwand mit einem breiten Durchgang in der Mitte, der an das der Samtenen Revolution gewidmete Ruhmestor erinnert, befinden sich die jüngsten Werke. Übergroße Selbstporträts von Milena Dopitová, Videos von Martin Kohout, Mark Thero und Anna Daučíková, soziale Projekte von Kateřina Šedá und Eva Koťátková.

Die Ausstellung schöpft ausschließlich aus der größten tschechischen Kunstsammlung, die Nationalgalerie musste keine Werke ausleihen. Sie bezeichnet es als eine Pioniertat, auch wenn es den Anschein erwecken könnte, es sei eher eine Tugend einer unterfinanzierten Institution.

Das Fehlen von Krediten spielt jedoch keine Rolle. Die Sammlung der Nationalgalerie ist mit über zehntausend Objekten recht reichhaltig. Und das Wichtigste: Die Kuratoren wählten die Geschichte der Institution als eines der Hauptmotive der Ausstellung, genauer gesagt die Kunst, die sie zwischen 1939 und 2021 für die Sammlung erwarb.

Die fünfziger Jahre waren die reichsten an Kontrasten und Gegensätzen künstlerischer Positionen. Die ausgewählten Beispiele veranschaulichen ideologisch motivierte Käufe von Werken des sozialistischen Realismus, übrigens auch von chinesischen Malern.

Zum Vergleich sind neben den Gemälden figurative Werke des zur Zeit František Kupkas in Paris lebenden französischen Malers und Bildhauers Fernand Léger sowie ein Gemälde von Pavel Brázda platziert, der die meiste Zeit seines Lebens nicht ausstellen durfte voller scharf geschnittener Gesichter entschlossener Arbeiter.

Das Bild aus der Ausstellung zeigt das Gemälde „Großer Astronaut“ von Pavel Brázda, 1954.

Das Bild aus der Ausstellung zeigt das Gemälde Großer Astronaut von Pavel Brázda, 1954. | Foto: Jakub Přecechtěl

Brázds „Großer Astronaut“, der auch zum visuellen Logo der neuen Ausstellung wurde, gelangte erst nach 1989 in die Sammlung der Nationalgalerie. Ähnlich wie Dutzende anderer heute ausgestellter Werke, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung offiziell inakzeptabel waren demokratische Verhältnisse ermöglichten ihren Einzug in die Staatssammlung.

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Es ist tatsächlich ein großes Privileg, Werke zu sehen, die vorher nicht an einem Ort zu finden waren. Kuratorin Adéla Janíčková kategorisiert es in Autoren, „denen Geschichte passiert“ und andere, „die sie erschaffen“.

Ihrer Meinung nach ist es interessant, den Kontrast und Wandel in der „Karriere“ von Personen zu beobachten, die die Kategorie der von der Geschichte mitgerissenen Autoren durch Auswanderung verlassen haben. Als Beispiele nennt er den Designer Ladislav Sutnar oder den Maler Toyen. Beide gehören zur Minderheit der Autoren, die in der über 300 Werke umfassenden Ausstellung mit mehr als einem Werk vertreten sind.

Neben den 1950er Jahren brachten die 1970er und 1980er Jahre die meisten Kontraste und Definitionen. „Wir zeigen hier noch schlimmere Dinge als den sozialistischen Realismus“, bemerkt Michal Novotný, Kurator und Leiter der Sammlung zeitgenössischer und moderner Kunst der Nationalgalerie. Er hält inne bei den farbenfrohen Gemälden, die angeblich eine typische „Wartezimmer“-Inszenierung der sechziger Jahre sind. „Diese Art von Chagall-Ausdruck war äußerst beliebt“, sagt er und bezieht sich auf einen erweiterten Stil, der den berühmten Maler Marc Chagall nachahmt.

Um den Fehler zu vermeiden, dass solche Werke hier hauptsächlich zu Informations- und Dokumentationszwecken ausgestellt werden, gehören sie zu einem sekundären, eher versteckten Teil der Ausstellung. Und ihre Installation erinnert bewusst eher an die Unterbringung in einem Depot.

Auf dem Foto aus der Ausstellung ist links das Gemälde „Auto“ des führenden zeitgenössischen tschechischen Malers Josef Bolf zu sehen.

Auf dem Foto aus der Ausstellung ist links das Gemälde „Auto“ des führenden zeitgenössischen tschechischen Malers Josef Bolf zu sehen. | Foto: CTK

Ankäufe für die Sammlung der Nationalgalerie während des Totalitarismus kopierten nicht nur offizielle Strategien, sie spiegelten auch gegenteilige Tendenzen wider. So kam es Ende der 1960er Jahre zu einem großen Zustrom neuer Werke in die Sammlung, als klar wurde, dass der soziale und kulturelle Aufschwung nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei im August 1968 zu Ende ging. Die Leute aus der Leitung der Institution „wussten, dass es Kunst war, die man später nicht kaufen konnte“, sagt Kuratorin Janíčková.

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Die Ausstellungen von 1968 bis 1971, die wie Plakate in der Ausstellung wirken, müssen wie ein anhaltender Hauch von Freiheit gewirkt haben. 1968 gelang es der National Gallery, eine Retrospektive des renommierten Künstlers Yves Klein, ein Jahr später Paul Klee und 1971 auch Bridget Rileys sowie eine Ausstellung mit dem Titel „American Painting for 1945“ zu organisieren. Eine andere, bereits normalisierte Dramaturgie zeigt sich durch das Plakat zur Ausstellung von 1975 mit dem Titel Frau, Familie, Kind.

Ein Archivbild aus der Ausstellung der National Gallery im September 1969 zeigt die Entführung der Sabinerinnen von Pablo Picasso.

Ein Archivbild aus der Ausstellung der National Gallery im September 1969 zeigt die Entführung der Sabinerinnen von Pablo Picasso. | Foto: CTK

Die Paradoxien der Wende werden auch durch das kleine Gemälde „Entführung der Sabinerinnen“ von Pablo Picasso veranschaulicht. Der berühmte Künstler schuf es 1962, sechs Jahre später gelangte es als Geschenk eines unbekannten Sammlers in die Sammlung der Nationalgalerie, der dem damals noch andauernden Prager Frühling, also dem Kulturellen, Tribut zollen wollte und sozialer Umbruch in der Tschechoslowakei.

Als Vermittler der Schenkung fungierte der bekannte Pariser Galerist Daniel-Henry Kahnweiler, der nach Ansicht der Kuratoren auch der Spender von Picassos Werken ist. Doch bevor die Schenkungsformalitäten geklärt waren, trafen die Besatzungstruppen ein. Das die Freiheit feiernde Gemälde gelangte erst nach der Invasion, die den Prager Frühling beendete, in die Nationalgalerie.

Die neue Ausstellung im Messepalast bietet unzählige solcher Geschichten und ist eine gute Möglichkeit, sich der Kunst zu nähern. Es begleitet einen Teil des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts mit Einsicht und einer klaren Meinung. Sie ergänzt die älteren Ausstellungen 1790 – 1918: Kunst des langen Jahrhunderts und 1918 – 1938: Die Erste Republik. Die Ausstellung moderner tschechischer Kunst ist somit vollständig und vielleicht sogar im europäischen Maßstab attraktiv.

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