Wenn Gwen Stacy in der Welt der Superhelden mit Spider-Man zusammenkommt, endet das laut etabliertem Comic-Kanon meist schlecht. Und die Teenagerin Gwen aus dem neuen Spider-Man: Across Parallel Worlds hat es definitiv kompliziert – nicht zuletzt, weil sie gerade ihr Engagement in einer anderen Punkrockband beendet hat. In ihrer Welt ist der Spinnenheld tot, deshalb schleppt sie sich nachts in seinem Kostüm herum.
Im Jahr 2018 brach der animierte Spider-Man als audiovisueller Hurrikan in die Kinos ein. Schon beim Eröffnungslogo wechseln sich Schriftarten und Farben in schneller Folge ab, als ob er beschloss, dem Publikum die Augen aus den Augen zu reißen. Der ambitionierte Wirbel aus kreativen Ideen und einem bunten Stilmix hat nun eine Fortsetzung erfahren, die ab Donnerstag in tschechischen Kinos zu sehen sein wird. Und die Macher beschlossen, sich selbst zu übertreffen.
Die Prämisse, die vom Konzept der Parallelwelten ausgeht, in denen jeder Superheld unzählige Versionen seiner selbst hat, ist in den letzten zwei Jahren zum Fluch der Marvel-Filme geworden. Nach dem spektakulären vierten Avengers schnappen sie nach Luft und suchen nach dem richtigen neuen Ton.
Das Wandern zwischen den Welten ist einer der Gründe dafür, dass die letzten Geschichten nicht hundertprozentig funktionieren, denn diese Idee führt dazu, dass in ihnen absolut alles passieren kann. Doch der neue animierte Spider-Man zeigt seinen fiktiven Kollegen hingegen, wie sie die Idee maximal nutzen können.
Der Film zeigt 200 einzigartige Spider-Mans und die Künstler hatten wieder einmal die Chance, sich auszutoben. Gleich zu Beginn dringt ein seltsames Echsenmonster in Gwens Welt ein, woraufhin das Mädchen fragt, ob sie es aus einem Stapel Pergamente geschafft haben. Und der bräunliche Bösewicht sieht wirklich aus, als wäre er den Zeichnungen von Leonardo da Vinci oder anderen italienischen Renaissance-Künstlern entsprungen.
Während es mitten im Guggenheim Museum zum Aufeinanderprallen von Zeiten und Kulturen kommt, wenn das Monster die ausgestellten Objekte von Jeff Koons und anderen Persönlichkeiten der modernen Kunst zerstört, versucht der Betrachter, sich an das hyperkinetische Tempo anzuschließen. In der Welt der Heldin Gwen, gezeichnet in sanften, an Aquarelle erinnernden Farbtönen, wird sie nicht lange bleiben.
In der englischen Fassung wurde Spider-Man von Shameik Moore gesprochen, während Gwen Stacy von Hailee Steinfeld gesprochen wurde. | Foto: Falke
Bald kehrt der Protagonist des ersten Teils zurück, nämlich Spider-Man, unter dessen Maske sich im gegebenen Universum nicht der weiße Junge Peter Parker, sondern der Puertoricaner Miles Morales verbirgt. Er durchlebt derzeit auch eine schwierige Zeit, da er seine nächtlichen Aktivitäten vor seinen Eltern verheimlicht und weil er zu spät zu Schulversammlungen kommt oder den Geburtstag seines Vaters feiert, weil er mit Schurken rumhängt, wird er von misstrauischen Erwachsenen gerügt und dann „ Scheisse”.
Seine Stimmung verbessert sich nicht, als ihn eine alte Bekannte, Gwen aus einer anderen Dimension, besucht und anschließend aufgrund einer geheimen Mission wieder aus seinem Leben verschwindet. Also beschließt Spider-Man, auf eigene Faust zu handeln und zu improvisieren.
Nach einer kurzen Einführung beginnen die Regisseure Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson die Handlung dieses Mal langsamer als im ersten Teil. Es dauert auch etwas länger, bis sich die frenetische Ausgelassenheit der visuellen Ideen mit der emotionalen Beteiligung des Publikums überschneidet. Sobald sich jedoch beide zusammensetzen und wir uns auf die schwierigen Entscheidungen der Protagonisten einlassen, wie sie nicht nur die Welt, sondern auch – und das Wichtigste – ihre eigene Familie retten können, gibt es am Ende eine kleine Untertreibung, denn der Film endet in der Mitte. Um die Zuschauer zum letzten Teil der Trilogie zu locken.
Aus diesem Grund ist er im Vergleich zum ersten Teil etwas peinlich – er passte perfekt zum unkonventionellen Animationsstil, der nichts ähnelte, was man bisher auf den Bildschirmen gesehen hatte, und zur Geschichte. Und fast sofort wurde er zum Klassiker, zu einem der besten Animationsfilme des Jahrzehnts und zu den erfolgreichsten Filmen des Marvel-Universums.
Die Neuheit sticht jedoch immer noch hervor. Vor allem in der Animation übertrifft es immer noch die festgelegte Messlatte. Die gepunkteten Gitter der Spider-Man-Welt nach dem Teil erwecken den Eindruck von etwas Vergänglichem, das vor den Augen aufblitzt, doch bald verlagert sich die Handlung an noch wildere Orte, zum Beispiel in eine chaotische Metropole, die an Mumbai erinnert, eine Kreuzung zwischen Indien und New York.
Der indische Spider-Man trifft auf einen harten Spinnenhelden, der eine Gitarre auf dem Rücken trägt, und die Cartoon-Form des Helden erinnert an die Ästhetik der Alben der Sex Pistols-Band, ist aber immer noch vom Afrofuturismus geprägt. Als nächstes gibt es Protagonisten im Stil japanischer Animes, eine Reise in eine fiktive Welt oder Charaktere aus einem Lego-Set.
Erschwerend kommt hinzu, dass auf dem Bildschirm häufig Comic-Blasen und Aufschriften oder Nahaufnahmen verschiedener Cover von Spider-Man-Magazinen erscheinen. Sie kommentieren auf skurrile Art und Weise, wo sich die Dinge gerade bewegen.

Der neue Film übertrifft künstlerisch immer noch die gesetzten Maßstäbe. | Foto: Falke
Gleichzeitig schafft es Spider-Man: Across Parallel Worlds, ein einfaches und bewegendes Drama zu sein. Dies allein übertrifft die meisten handlungsreichen Bilder, die Marvel in letzter Zeit produziert hat. Darüber hinaus endet das Thema der Parallelwelten und unterschiedlichen Versionen seiner selbst nicht mit einmaligen lustigen Witzen wie in Sam Raimis „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“, sondern wird in einer originellen, aufwändigen Ästhetik aufgegriffen. Sie hat jede Minute etwas zu überraschen.
Nur kann es dieses Mal einfacher sein, von der Geschichte übersättigt zu werden und ein wenig frustriert darüber zu sein, dass die Macher nicht das Selbstvertrauen hatten, den Film zu einer Art Katharsis zu führen. Und stattdessen haben sie den Höhepunkt auf später verschoben.
Als im zehnten Teil der Fast and Furious-Reihe ein ähnliches Leiden auftrat, konnte man darüber mit der Hand winken, denn dort dient die Erzählung nur als Deckmantel für Action-Eskapaden. Doch in einem der ehrgeizigsten Unternehmungen im Marvel-Universum wirkt dieser ursprüngliche Appell an den nächsten Kinobesuch unwürdig. Zumal selbst der zweite Zeichentrickfilm „Spider-Man“ trotz teilweiser Vorbehalte so charmant ist, dass er allein schon eine wiederholte Betrachtung auf der großen Leinwand verdient.
Film
Spider-Man: Durch parallele Welten
Regie: Joaquim Dos Santos, Kemp Powers, Justin K. Thompson
Falcon, tschechische Premiere am 1. Juni.