Von Butter bis Zement: Die Krise in Zahlen

Die Wirtschafts- und Versorgungskrise in Kuba hält weiter an. Kaum begann sich das Land von den Folgen von Hurrikan „Ian“ im vergangenen Herbst etwas zu erholen, würgte eine erneute Treibstoffknappheit die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Frühjahr ab. Laut Verbraucherpreisindex lag die Inflation im April bei weiterhin hohen 70 Prozent. Eine neue Entwicklung sind indes privat geführte Lebensmittelgeschäfte, die bislang vor allem in Havanna entstanden sind. Sie verkaufen Produkte, die sonst nur gegen Devisen erhältlich waren, in Pesos. Möglich wurden sie über die neuen Importmöglichkeit für Privatbetriebe. Die Preise in den kleinen Geschäften mit Kühlregal sind allerdings exorbitant hoch: 125g Kaffee kosten 700 Pesos, ca. sechs Euro. Der Liter Speiseöl liegt bei 800 Pesos, rund sieben Euro gemäß dem offiziellen Wechselurs. „Es stimmt, dass die Preise sehr hoch sind, aber zumindest gibt es jetzt einen Ort, wo man diese Produkte verlässlich finden kann“, resümiert die kubanische YouTuberin Yoliene ihren ersten Besuch in den neuen Läden.

Sortiment eines privaten Supermarkts in der Altstadt von Havanna (Quelle: Yoliene/Youtube)

Trotz der jüngsten Erweiterung der Distributionskanäle: Ein Ende der aktuellen Versorgungskrise und damit ein Rückgang des Preisniveaus, ist derzeit nicht in Sicht. Die Nachfrage wird auch in absehbarer Zukunft das vorhandene Angebot bei weitem übersteigen. Warum das so ist, zeigen neue Zahlen des nationalen Statistibüros ONE, auf die im Folgenden ein genauerer Blick geworfen werden soll.

Eine der aussagekräftigsten Publikationen sind die vor wenigen Tagen veröffentlichten Daten der herstellenden Industrie. Hier gab es drastische Einbrüche in fast allen Bereichen. Was ins Auge fällt: auch im Jahr 2022 hielten die Produktionseinbrüche trotz leichten nominellen Wachstums an, vermutlich aufgrund der andauernden Energiekrise.

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So hat sich die heimische Produktion von Pflanzenöl in Kuba seit 2019 quasi halbiert, sie ging von 20.800 auf 10.700 Tonnen im Jahr 2022 zurück. Der stärkste jährliche Rückgang von 60 Prozent erfolgte hier von 2021 auf 2022. Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl an verschiedenen Produkten der kubanischen Industrie zwischen 2019 und 2022. Die Produktionszahlen sind, wenn nicht anders angegeben, in tausend metrischen Tonnen:

Produkt 2019 2020 2021 2022 Delta seit 2019
Kaffee 19,2 18,4 17,1 16,6 -13,5%
Verstoß 454,6 469,5 446,5 408,5 -10,6%
Speiseöl 20,8 22,1 17,8 10,7 -48,5%
Wurst und Filet vom Schwein 134,3 93,4 41,4 15,2 -88,8%
Käse 24,9 20,1 13,3 9,4 -62,3%
Joghurt 140,4 182,6 177,7 103 -26,6%
Butter

Doch der Output der heimischen Industrie gibt naturgemäß nicht das ganz Bild wieder, denn darüber hinaus setzt sich der Konsum der Kubaner auch aus importierten Produkten zusammen. Hier hilft ein Blick in die ebenfalls jüngst erschienene Statistik des staatlichen Einzelhandels. Hier zeigt sich: auf den ersten Blick sind die Verkäufe 2022 wieder leicht gestiegen, während sie bei den Fleischwaren (-18,6 Prozent) und Zucker (-25,8 Prozent) deutlich zurückgingen. Rechnet man die offizielle Inflationsrate mit einsieht die Bilanz jedoch anders aus: Der Ökonom Pedro Monreal kommt in seinen Berechnungen auf Rückgänge von 62 Prozent bei den Brot- und Backwarenverkäufen, 63 Prozent beim Reis, 66 Prozent bei Speiseölen, 70 Prozent beim Fleisch und 73,5 Prozent bei Milchwaren. Nicht abgebildet sind hierbei die Verkäufe auf dem Schwarzmarkt und in privaten Geschäften, die zugenommen haben dürften.

Ein weiteres Problemfeld ist die Verfügbarkeit von Reis. Die Übersicht von Monreal zeigt die Reisimporte aus Vietnam (rot), anderen Ländern (grün) und die heimische Produktion (blau) in den Jahren 2016 bis 2022. Die gelbe Linie markiert den jährlichen Bedarf von 700.000 Tonnen. 2020 und 2021 ergab sich ein Defizit von 20 bzw. 17 Prozent. Die (vorläufigen) Zahlen von 2022 deuten auf ein Defizit in Richtung 40 Prozent, was ein schwerwiegender Einbruch bei der Kohlenhydratversorgung bedeutet. Reis ist neben Brot und Bohnen eines der drei basalen Grundnahrungsmittel in Kuba. Zuletzt bezifferte die Welternährungsorganisation (FAO) die Kalorienversorgung in Kuba 2020 auf üppige 3.346 kcal pro Person und Tag (leicht rückläufig gegenüber den Vorjahren). Die Zahlen für 2021 und 2022 liegen noch nicht vor und dürften einen deutlichen Einbruch markieren.

Werfen wir abschließend noch ein Blick auf den Transport- und Logistiksektor. Die Anzahl der beförderten Passagiere hat sich 2022 gegegenüber dem Lockdownjahr 2021 von 749 Mio. auf 1 Mrd. um rund ein Drittel erhöht, liegt aber damit noch immer deutlich unter dem Vor-Corona-Stand und in etwa auf dem Wert des Jahres 2003. Der Frachttransport, ein wichtiger Indikator für die Vitalität der Wirtschaft, ging nach vorherigen starken Einbrüchen zwischen 2021 und 2022 von 72,3 auf 70,3 Millionen Tonnen um drei Prozent zurück.

Wie aus den Zahlen ersichtlich wird, war die Insel auch vergangenes Jahr fest im Griff der Krise. Viele Schlüsselindikatoren haben sich weiter verschlechtert, auch wenn es in manchen Bereichen eine partielle Erholung gab. Der perfekte Sturm aus Corona-bedingten Einnahmeeinbrüchen, neuen US-Sanktionen, (Natur-)Katastrophen und verschleppten Reformen hat sich als toxischer Cocktail erwiesen, der die kubanische Wirtschaft bis heute lähmt und zu einem massiven Einbruch des Lebensstandards und der Kaufkraft des kubanischen Pesos geführt hat. Was also tun? Nach der Öffnung des Privatsektors will Kubas Regierung dieses Jahr mit einem makroökonomischen Stabilisierungsprogramm gegensteuern. Geplant ist unter anderem eine Restrukturierung der Staatsbetriebe (in denen rund zwei Drittel der Erwerbstätigen beschäftigt sind) sowie mehr ausländische Investitionen, auch in den Sektoren Landwirtschaft und Handel, die lange Zeit staatliches Monopol waren. Doch damit die Reformen überhaupt die Chance haben, greifen zu können, muss zunächst die aktuelle Treibstoffkrise überwunden werden. Morgen sollen im Rahmen einer Sondersitzung des Parlaments neue Daten zur Lage der Wirtschaft und der kommenden Reformvorhaben bekanntgegeben werden. Wie viel größer das berühmte Licht am Ende des Tunnels wird, bleibt abzuwarten. Die Erholung, wenn sie denn kontinuierlich einsetzt, wird viele Jahre dauern – so viel lässt sich bereits jetzt sicher sagen.

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